Das Geheimnis ist gelüftet: Ich habe keinen Purpose. Alter Schwede denkst du jetzt, wie schafft er es denn dann jeden Morgen aufzustehen, was ist denn sein „why should I get up“?
Du wirst es nicht glauben, aber mein Why hat 3 Euro gekostet und ist ein Wecker. Der klingelt immer um 6:23. Und dann steh’ ich auf: 5-4-3-2-1. Alter, jetzt geht’s los. High five in den Spiegel und ab geht der Sascha. Wecker? Ja, weil das Handy im Schlafzimmer nichts zu suchen hat.
Purpose, davon liest man an jeder Ecke, neuerdings versucht nicht nur jeder Einzelne, nein auch Unternehmen einen zu (er)finden.
Selbst der Klempner in München hat neben seinem Mission Statement: “Der Klaus holt’s raus” jetzt einen Purpose: Rohrfrei auf allen Kanälen. Das katapultiert ihn jeden Morgen aus dem Bett wie ein Wandspüler. Bäm da bin ich – weg mit der Scheiße.
Und ich hab’ keinen. Nach dem Abi habe ich verzweifelt in ein Forum geschrieben “was ist denn nun der Sinn des Lebens, was soll ich mit mir anfangen? Hilfe!”. Die Antwort kam wenige Stunden später: 42.
Zweiundvierzig? Ja, lies mal “The hitchhiker’s guide to the galaxy”. Gelesen und halbwegs nicht verstanden.
Ok, wenn es einer wissen kann mit diesem Purpose, dann sicherlich Marcus Aurelius, seiner Zeit mächtigster Mensch auf Erden, dazu noch so reflektiert wie das Deflectorshield der USS Enterprise.
Spätestens wenn du zur Hälfte mit seinen Meditations durch bist, dann merkst du: Verdammt, der Mensch hat sich 2000 Jahre lange nicht wirklich weiter entwicklet. Vor allem: Kein Purpose. Der ehemals mächtigste Mann der Welt hatte auch keinen Purpose und drehte sich meistens auch gedanklich im Kreis. Und darüber hat er auch noch ellenlang schriftlich meditiert. Ich atme ein, ich raste aus.
Kann man denn so ganz ohne Purpose leben? Nein, wenn ich all’ den Selbsthilfe Büchern und Coaches glauben schenken darf. Ich tue es trotzdem. Sehr gut sogar. Und Spaß dabei habe ich auch. Mal mehr, mal weniger. Manchmal gar nicht, dann kotzt mich alles an. Niemand hat gesagt, es macht die ganze Zeit Spaß.
Trotzdem kein Ende in Sicht, dank McKinsey, BCG und Simon Sinek kommen jetzt auch etablierte Unternehmen auf den Trichter: Wir brauchen einen Purpose, wir können nicht einfach mehr so unsere Produkte verscherbeln. Unserer Mitarbeiter wissen gar nicht warum sie für uns aufstehen und arbeiten sollen. Das regelmäßige Gehalt, Sicherheit (!), vegane Curry-Wurst-Wednesdays und Gemeinschaft blenden ja alle immer aus.
Nachhaltiges Wirtschaften ist ganz weit vorne dabei auf der Purpose Liste: Sustainability. Das, was uns die Natur seit Jahrtausenden lehrt und vor macht, wird jetzt von externen Beratern für Hunderttausende von Euro in ein Purpose Statement diktiert. Denn: Auch der Vorstand braucht Sicherheiten, wenn er mal eine wichtige Entscheidung treffen muss.
Was ist denn nun dieser Purpose? Ab ins dunkle Vokabel Gemenge. Gerade der/die Purpose Anfänger*in ist da schnell verwirrt, deshalb fangen wir hinten an:
- Hobby (engl. hobby) – was du gerne machst, sogar manchmal freiwillig bis zur Selbstverstümmelung: Sex. Sport. Essen. Briefmarken sammeln. Hobby horsing. NFT Trading. Onlinekurse, die du nicht umsetzt – you name it.
- Job (engl. job) – wofür man dich bezahlen kann. Ein Hobby kann also auch zum Job werden. Siehe RedBull Athleten oder Briefträger.
- Beruf (engl. profession) – wie der Job, nur dass du formal qualifiziert oder zertifiziert wurdest. Der englische Begriff ist da eindeutiger. Kommt nicht von Berufung, sondern von “professional”. Damit ist klar: Der RedBull Athlet hat keinen Beruf, sondern einen Job auch wenn es evtl. seine Berufung ist. Apropos…
- Berufung (engl. vocation, calling) – Jetzt wird’s spannend, ist das jetzt der Purpose? Nein. Das Leben/Universum/Gott/Hildegard hat Dich be- oder gerufen etwas zu tun. Gutes Beispiel Jesus. Schlechteres Beispiel Hitler. Aktuelles Beispiel Greta Thunberg. Typischerweise also das, was dich gerade innerlich antreibt. Ist der Wecker nun meine Berufung? Nur, wenn ich ihn verschluckt hätte. Berufung ist eher ein Motiv, bspw. dass du eine moralische Verpflichtung verspürst, ein toller Mensch sein willst, Bock hast produktiv zu sein, die on-premise Softwarewelt mit Cloud revolutionieren möchtest, usw. Eine Berufung ergibt sich oftmals durch die Verkettung verschiedener Erlebnisse in deinem Leben. Ob du willst oder nicht. Der eine wird dann Priester, der andere Feuerwehrmann, Entrepreneur, Politiker*in oder wenn es hart auf hart kommt: Künstler*in. Kann man damit Geld verdienen? Bedingt, oftmals bekommt man dafür aber viel Gegenwind wenn man die Norm in Frage stellt.
- (Lebens)zweck (engl. purpose) – Warum bin ich hier, warum mach ich den Kram, warum ist die Banane von Chiquita. Merke: Warum fragen sind immer beschissen zu beantworten. Warum? Weil du als Kind da tausendemale ein “weil es so ist (= sei ruhig und lutsch‘ deinen Lutscher)” eingefangen hast. Du hast es gehasst, kein Erwachsener mag sie deshalb wirklich. Keiner. Wenn man Fragen nicht gut beantworten kann, dann wird man erfinderisch. Ich erinnere mich da an Interpretationen in der Schule oder eben der tsunamihaften Zunahme von Unternehmens(selbst)zwecken. Rein wissenschaftlich betrachtet ist man sich beim Lebenszweck einig: Starke Tendenz zu: Es gibt keinen, aber auch kein Q.E.D. Ich seh’ den Shitstorm schon hageln. Also erfindest du einen: Denkst dir eine Religion aus mit strengen Regeln, wirst Fundamentalist in etwas oder kreierst dir deine eigene Lebensphilosophie, bspw. “Ich will die beste Version von mir selbst werden”. Du kannst auch alle drei kombinieren.
Ganz konkret, vergiss den Purpose. Den kannst du in dein Leben immer rein interpretieren. Besser: Andere machen das für Dich oftmals ungefragt. Frag’ mal all die Künstler da draußen. Spätestens in der Abschiedsrede an deiner Beerdigung wird dir einiges rückwirkend klar.
Fakt ist, konzentriere Dich auf die Berufung, deinem Calling. Da ruft nicht nur einer, sondern viele: Vor allem das Leben, das Universum, deine Schwiegermutter, die Bundeswehr. Überall und permanent. Sei bereit und achte darauf, was das Leben von Dir verlangt. Geh’ deinen steinigen Weg, the obstacle is the way. Du musst nur zugreifen, den Mut haben und schauen ob es dir taugt. Dranbleiben und Verantwortung übernehmen. Bäm!
-Dein Sascha
PS: Den 3 Euro Wecker empfehle ich trotzdem, denn das Handy tötet: Deinen Schlaf, deine Zeit, deine Liebe und deine Beziehung.
PPS: Auch wenn du keinen Purpose brauchst, macht es Sinn sich die Purposefrage ab und an zu stellen. Macht Sinn? Beschleunigt den Selbstfindungsprozess. Damit werden auch Callings (Überraschung, es ist nie nur eine Berufung) immer klarer.
0 Kommentare